Mittwoch, 11. März 2009

Karl Heinrich Waggerl: Mein Stock

Mein Stock hängt an einer Lederschlaufe neben der Tür. Viele Stöcke hängen da, denn ich komme selten einmal von einer Reise zurück, ohne einen tüchtigen Stecken mit zubringen, den ich mir irgendwo unterwegs geschnitten habe. Es weht mich warm und würzig an, wenn ich einen wieder in die Hand nehme. –Tessin! denke ich. Eicheln regnet es um mich her wie in den alten Wäldern an der Alller, oder es faucht mir eine feuchter Wind entgegen, und das muss an westlichen Küsten gewesen sein; dieser Stock ist aus dem Sanddorn geschnitzt. Die meisten meiner Prügel büße ich ja bald wieder ein, sie sind zu handlich für allerlei Geschäfte im Haus, um damit in verstopften Rohren herumzustochern, und manchmal werfe ich auch selber einen hinter den Buben her, wenn sie im Garten den Vogelnestern nachtrachten. Der Stock, von dem ich eigentlich reden wollte, der mit der Lederschlaufe, kam auf seltsame Weise in meinen Besitz, es ist keine rühmliche Geschichte.

Einmal im Winter, an einem stürmischen Abend, klopfte es noch an der Tür. In solchen Zeiten lasse ich gern das Licht vor dem Haus brennen, damit mir die Nacht nicht zu nah an die Fenster kommt. Nun ging ich also verdrossen, um nach diesem späten Gast zu sehen. Der Wind riss mir gleich die Klinke aus der Hand, Treibschnee fegte in den Flur, ein verteufeltes Wetter. Draußen stand ein alter Mann auf den Stufen, ich kannte ihn. Er kam oft vorüber, klopfte und hielt mir die Hand entgegen. Nie sagte er ein Wort des Grußes oder des Dankes, er sah mich nur an mit seinen wässrigen Trinkeraugen, und ich gab ihm, was mir eben einfiel, ein Endchen Wurst oder etliche Groschen aus der Hosentasche. Über der Schulter trug er einen Stock und daran hing ein Sack, aber was mich ärgerte, war sein kahler Kopf, es lag ihm wahrhaftig schon Schnee auf dem Schädel. Da nahm ich meine wollene Haube vom Haken, ein wenig schwankte der Alte, als ich ihm die Mütze über die Ohren zog und dann ging er wortlos davon, wie die leibhaftigen guten Werke.

Das aber war der Augenblick, in dem ich mich hätte besinnen müssen. Ich hätte an die rückwärtige Kammer denken sollen, o ja, ich dachte auch daran. Dort stand ein leeres Bett bereit, Tisch und Stuhl für einen Gast und es war warm und behaglich in dieser Stube. Es gab auch noch Suppe in der Küche oder ein Butterbrot, und eine halbe Flasche Bier auf dem Fensterbrett. Aber zugleich dachte ich an mein sauberes Haus und dass dieser Kerl hereintappen würde, nass und dreckig und weithin nach Branntwein stinkend. Wie er seine Fetzen auf den gewachsten Boden fallen ließe und unter das frische Leintuch kröche, mitsamt seinem Grind und seinen Läusen. Und da schlug ich die Tür zu und ließ das ganze Unbehagen draußen, Sturm und Kälte und alles miteinander. Zwei Tage später kam der Totengräber und zeigte mir einen Stock, eine großartige Arbeit, aus Nussbaumholz geschnitzt. Den Knauf bildete ein bärtiger Kopf und auch aus den Astknoten sahen lauter Gesichter, alle mit offenen Mündern, als schrien sie aus dem Holz.

Ob ich das Ding etwa kaufen wolle? fragte der Mann. Er habe nun doch diesen Alten eingraben müssen, diesen Josef, eine Schinderei in dem gefrorenen Boden und nichts dafür zu lösen. Gut, ich nahm den Stecken für ein anständiges Geld. „Mach ihm auch ein Kreuz auf das Grab“, sagte ich. „Wann ist er denn gestorben?“ „Gestorben eigentlich nicht“, sagte der Totengräber, „erfroren“. Ich muss noch etwas hinzufügen, nur für mich, es soll niemanden beschweren: Das Böse, das wir tun, wird uns Gott vielleicht verzeihen. Aber unverziehen bleibt das Gute, das wir nicht getan haben.

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